Das Bildungsdilemma

Das Bildungsdilemma – und welche Gedanken wir uns darüber gemacht haben
(… und nicht nur wir)

Der Pisa-Effekt
Eine gute Schulausbildung ist dank Pisa unumgänglich mit Finnland verbunden. In Finnland haben die Kindergärten einen sehr hohen Qualitätsstandard. Nach dem Besuch der Vorschule sind viele Kinder bereits auf einem Leistungsniveau und werden mit 7 Jahren ALLE in einer Gemeinschaftsschule beschult. Mit hervorragend ausgebildeten Lehrern wird in kleinen Klassen differenziert unterrichtet. Mittlerweile lässt der Erfolg der Finnen nach. Warum? Weil die Finnen vor Pisa noch anders unterrichtet haben und die positiven Effekte hieraus noch im ersten Pisa-Test zu spüren waren. Mehr dazu unter Finnlands Pisa-Wunder entpuppt sich als Irrtum und Ende des Bildungswunders
Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Finnland trotz besserer Bildung höher als in Deutschland! Das Modell der dualen Berufsausbildung ist zum deutschen Exportschlager geworden! Dazu sehen Sie bitte auch unter Die Azubis werden knapp und ganz lokal auch unter Immer mehr Betriebe können Lehrstellen nicht besetzen  die weitergehenden Informationen.

Bildung in der Krippe / in der Kita / im Kindergarten
Wenn wir etwas ändern wollen, können Eltern schon mit der Geburt ihres Kindes damit anfangen. „Der Bildungsfaktor Nr. 1 ist die FAMILIE“, sagt Prof. Dr. Volker Ladenthin (Bildungswissenschaften Universität Bonn). Ein Baby scheint bis zum Kindergartenalter deshalb am besten bei seinen Eltern, Großeltern oder anderen festen Bezugspersonen aufgehoben, mit dem es viel Zeit verbringt und ganz nebenbei wichtiges Basiswissen erlernt. In einer Kinderkrippe ist es durch Teilzeitarbeit und unterschiedlichen Schichten schwierig, möglichst wenige, feste Bezugspersonen für ein Kind bereitzustellen.“, laut Dr. Martin R. Textor, Autor, Publizist und Pädagoge, Würzburg. Von politischer Seite wird mit Hochdruck am Kita-Ausbau gearbeitet. Leider nur in Sachen Quantität. Die Qualität lässt noch zu wünschen übrig, was nicht an den Erziehern und Erzieherinnen liegt. Es sind einfach zu viele Kinder pro Betreuungsperson. Bitte nicht missverstehen: Keiner von uns möchte damit die Mütter wieder an den Herd holen.

Wir möchten, dass Erzieher und Erzieherinnen mehr Unterstützung bekommen in Form von Weiterbildungen, Entbürokratisierung und Investitionen in die Personaldecke sowie Erleichterungen in der Dokumentation (z. B. digitale Akte über Sprechfunktion, Datenbrillen, etc.), damit sie mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit haben und damit wesentlich zur Bildung der Kinder beitragen können. Musische Einheiten könnten über Musikschulen abgedeckt werden und Lesepaten könnten sicher über Großeltern, Schulkinder oder den Lesekreis der Familienbildungsstätte gewonnen werden. Dies würde den Wortschatz vieler Kinder erweitern und die Lesekompetenz und den Spaß am Lesen erhöhen. Mathematik kann durch mehr Zeit der Erzieher/-innen in den Alltag spielerisch integriert werden. Flüchtlingskinder sollten so früh wie möglich in den Kindergarten bzw. die Krippe. Das Erlernen der Sprache ist dann viel einfacher. Voraussetzung dafür ist aber ausreichendes Personal.

Bildung in der Vorschule
Die Vorschule haben wir abgeschafft. Warum eigentlich? Statt schulunreife Kinder zu früh in die Schule zu schicken, wären sie in einer vorbereitenden kleinen Gruppe besser aufgehoben, um soziale und Bildungsdifferenzen aufzuarbeiten.

Bildung in der Grundschule
Für Grundschullehrer ist es schwer, Inklusion, Integration und starke Unterschiede im Leistungsniveau unter einen Hut zu bringen. An Personal fehlt es an allen Ecken und Kanten. Wir würden uns wünschen, dass das „Schreiben nach Gehör“ nur zum ersten Schreibanreiz genutzt wird, aber frühzeitig in die richtige Schreibweise herangeführt wird. Je früher Kinder diese Regeln kennenlernen und anwenden, desto höher die Chance auf die richtige Rechtschreibung. So würde an den Grundschule zumindest im Fach Deutsch mehr Basiswissen vermittelt, ohne mehr Personal zu benötigen (die Lehrer an den weiterführenden Schulen würden dadurch ebenfalls entlastet). Für fremdsprachige Schüler benötigen die Lehrer dringend Unterstützung. Gibt es Dolmetscher, die gegen Bezahlung einspringen könnten oder vielleicht ältere Schüler und Studenten aus anderen Ländern, die in Deutschland ein Auslandjahr machen, bzw. studieren und die notwendigen Sprachkenntnisse haben? Dazu müsste man ggf. die Unis und die zuständigen Organisationen ansprechen.

Der Lehrerjob muss attraktiver werden, vor allem sollte er finanziell angepasst sein, damit in kleineren Klassen unterrichtet werden kann. Die verschiedene Berufsverbände für Lehrer (Philologenverband NRW, lehrerNRW, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften usw.) tun ihr Möglichstes, um die Qualität der Ausbildung und die Arbeitsbedingungen für Lehrtätige zu verbessern. Aber das allein reicht nicht aus, die Politik ist wiederum gefragt.

Gegen Mitte der Klasse 4 sprechen die Lehrer für jeden einzelnen Schüler eine Empfehlung für die weiterführenden Schulen aus. Diese enthält lediglich eine Zeitpunktbetrachtung und entscheidet nicht über den Rest des Lebens. Wir haben ein absolut durchlässiges Schulsystem, das jedem einzelnen gerecht wird, wenn man bereit ist, sein Kind auch auf die jeweilige Schule zu schicken. Eltern tun gut daran, sich an die Empfehlungen der Grundschullehrer zu halten und Vertrauen in deren Kenntnisse und Erfahrungen zu setzen. Ein Satz, den wir in den letzten Monaten unserer Tätigkeit sehr oft gehört und gelesen haben. Wir sehen, dass die Dülmener Eltern, durch die zahlreichen Leserbriefe und Diskussionen zu diesem Thema, mittlerweile nachdenklicher geworden sind und für ein Umdenken bereit sein könnten. Kinder, die auf einer Schule sind, auf der sie leistungstechnisch gut mitkommen, sind motivierter, als Kinder, die Probleme haben, dem Lernstoff zu folgen, oder die von außen dazu angetrieben werden, dass sie „dran“ bleiben müssen.

Was hingegen großen Einfluss auf den Rest des Lebens hat, ist nach wie vor die Herkunft/das Elternhaus. Kommen Kinder aus ärmeren bzw. bildungsfernen Elternhäusern, ist es aktuell so, dass es nur wenige gibt, die den Sprung nach “oben” schaffen. Chancengleichheit ist nur über frühzeitige Bildung in den Krippen und Kitas zu erreichen.

Bildung auf den weiterführenden Schulen
Beim Wechsel von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen entscheiden sich immer weniger Eltern dafür, ihr Kind auf die Hauptschule oder die Realschule zu schicken. Nach Ablauf der Erprobungsstufe wird schon deutlich, dass die getroffene Entscheidung für einige Kinder nicht richtig war. In Dülmen haben in den letzten 5 Jahren 104 Gymnasiasten auf die Realschule und 97 Realschüler auf die Hauptschule gewechselt. Dieser Trend ist nicht nur in Dülmen anzutreffen. Eine mögliche Lösung scheint in der Abschaffung des Elternwillens bei der Schulwahl zu liegen (geht das rechtlich überhaupt?). Dadurch ändert sich aber nicht die Einstellung der Gesellschaft. Einige Städte und Gemeinden versuchen das Problem mittels der Sekundarschule zu umgehen. In Deutschland werden mit den Sekundarschulen nur Teile des Konzepts des längeren gemeinsamen Lernens, wie es in Finnland gelebt wird, kopiert. Damit haben wir in vielen Gemeinden auch nur mäßig Erfolg. Die NRW-Landtagswahlen haben deutlich gezeigt, wie unzufrieden man mit der Bildungspolitik ist. Bei einer ganzen Reihe dieser Schulen sinken die Anmeldezahlen schon nach kurzer Zeit (wie z.B. in Legden, Ascheberg, Münster-Roxel, Rheine, …), während die nächstgelegenen Gesamt- oder Realschulen wachsen.

Der Sekundarschule fehlt, wie auch der Hauptschule, die Akzeptanz in der Gesellschaft, weil hier nicht alle Kinder aller Schulformen (wie z.B. in der Gesamtschule) gemeinsam lernen, sondern überwiegend Haupt- und Realschüler. Eltern weichen dann lieber zu einem erreichbaren Gymnasium, einer Realschule oder einer Gesamtschule aus. Mit 3 Gymnasien und einer Realschule wäre die Konkurrenz bei uns in Dülmen sehr groß. Möglicherweise wird die Wiedereinführung von G9 dies teilweise noch verstärken. Dülmen hatte sich zunächst entschieden, in die Hauptschule zu investieren. Leider blieb diese Investition erfolglos, weil, unserer Meinung nach, nicht gleichzeitig daran gearbeitet wurde, die Wertvorstellungen der Dülmener wieder in eine Balance zu bekommen und eine bildungstechnische Qualitätsverbesserung in der Primarstufe ausblieb. Nichtsdestotrotz startet auch dieses Jahr (SJ 2017/2018) die Hauptschule mit zwei Eingangsklassen, was beweist, dass sie immer noch gebraucht wird. Wir können nicht erst an den weiterführenden Schulen mit einer Qualitätsverbesserung anfangen. Das muss viel früher geschehen, damit sich eine Bildungszufriedenheit einstellen kann, die Ruhe in unsere Schulen bringt.

Durch die Einführung der Sekundarschule haben diverse Städte und Gemeinden nur kurzfristig das Problem mit den sinkenden Anmeldezahlen an den Hauptschulen gelöst, denn das eigentliche Problem ist geblieben. Nur wer Abi macht, ist anerkannt und Handwerker möchte anscheinend keiner mehr werden. Spätestens nach der Ausbildung geht es weiter zur Schule und zum Studium. Dabei werden viele nicht den Beruf ergreifen, in dem sie glücklich werden.

Noch nie haben so viele Kinder wie heute das Gymnasium besucht und immer mehr schaffen einen Notendurchschnitt mit einer Eins vor dem Komma. Stichwort „Noten-Inflation“. Sind die Kinder alle so viel schlauer als wir früher? Warum sind die Studienabbrecherquoten dann so hoch? Die aufgebauten „Lebenslügen“, wie Prof. Dr. Volker Ladenthin (Bildungswissenschaften Universität Bonn) dies auf dem  2. Nottulner Bildungsforum: „„Zwischen Über- und Unterfordung – wird unser Bildungssystem seinen Aufgaben gerecht?“ nannte, werden jetzt erst erkannt. Träume zerplatzen. Das Schlimmste ist aber, unserer Meinung nach, dass das Zeugnis auch dem Kind selbst scheinbar keine Orientierungshilfe mehr bietet, um sich selbst einschätzen zu können.

Wie die Westfälischen Nachrichten berichteten, meinte Peter Silbernagel (Vorsitzender des Philologenverbandes NRW) auf dem 2. Nottulner Bildungsforum, einerseits werde „eine Schule für alle“ gefordert, damit Bildungschancen unabhängig von der sozialen Herkunft entstehen. Andererseits möchte man ein differenziertes System, das sich an Eignung, Neigung und Befähigung orientiert. Silbernagel glaubt, dass das Schulsystem überfordert wäre, wenn es unter ideologischen Vorzeichen verändert würde. Seiner Meinung nach wird beim Versuch die Schulprofile einzuebnen genau das Gegenteil passieren – nämlich eine Unterforderung (wie zum Beispiel bei der Ermöglichung sämtlicher Bildungsabschlüsse am Gymnasium oder bei Auslegung der individuellen Förderung so, dass jedes Kind dasselbe Niveau erreicht.) „Das ist Qualitätsminderung“, so Peter Silbernagel in seinem Vortrag.

Digitaler Unterricht
In Kindergarten und Grundschule sollten unsere Kinder singen, sprechen, lesen, rechnen, schreiben, werken, basteln, zeichnen, essen, lachen, tanzen, streiten, vertragen, bewegen und spielen, spielen, spielen auf dem Plan stehen und das letztere möglichst ohne digitale Medien. So wird eine sehr gute Grundlage geschaffen. Digitale Medien könnten allerhöchstens begleitend erscheinen, aber nicht inhaltliche Themen. Das hat noch Zeit bis zur Grundschule. Wenn in weiterführenden Schulen digitale Medien zum Einsatz kommen, muss auch die Infrastruktur vorhanden sein: geschultes Personal, ausreichende Hard- und Software und die digitale Peripherie. Nichts ist störender als veraltete Geräte und Lehrer, die sich damit nicht auskennen. Dank vieler lernunterstützender Software bieten digitale Medien spielerisch Zugang zu Wissen. Das Lernen fällt den Kindern leichter, weil sie mehr Spaß am Unterricht haben.

Was können wir tun???
Sollten die Gymnasien in Dülmen zu G9 zurückkehren, hätte dies Auswirkungen auf die Schulentwicklungszahlen und dementsprechend auch auf die Sekundarschule. Wir würden uns wünschen, dass die Rückkehr zu G9 bei der Entscheidung zur Sekundarschule abgewartet wird auch um eine gewissen Ruhe in unseren Schulen zu erhalten. Aus kommunaler Position heraus sollte das Gespräch mit der Bezirksregierung gesucht werden, sollte die Hauptschule irgendwann keine ausreichenden Anmeldungen mehr haben,  sie nicht sofort als auslaufend gestellt wird.

Des Weiteren würden wir uns Impulse von außen wünschen, die insbesondere Eltern zum Umdenken anregen und sensibilisieren. Ein Bildungsforum, wie in Nottuln, könnte ein solcher Impuls sein, um Eltern umfassend zu informieren – auch in Bezug auf die Entscheidung zu den weiterführenden Schulen.

Eine weitere Idee ist die Einführung eines Leitbilds für unsere Stadt, wie es in Unternehmen oft üblich ist. Mit Hilfe von Tageszeitung, Fernsehen, Radio, Prospekten und Aktionen (Dülmener Sommer) sollten alle Dülmener zu erreichen sein. Es muss deutlich werden, dass hier bei uns jeder Mensch gleich viel Wert ist und dass wir alle unterschiedlichste Stärken haben. Gerade die Vielfalt der Stärken, die in uns steckt, macht unsere Welt so schön bunt und uns für den internationalen Wettbewerb stark. Wir sind alle voneinander abhängig (der Architekt kann ohne Maurer, Installateure, Zimmermänner, Elektroinstallateure etc. kein Haus bauen).

Im September werden erstmals Dülmener Unternehmen zeigen, was sie herstellen. „Made in Dülmen“, finden wir super! Wir wünschen uns, dass für diesen Tag noch mehr Werbung gemacht wird und die Schüler/-innen besonders eingeladen werden und nicht nur wie üblich die interessierten Bürger.

Kooperationen von Dülmener Unternehmen könnten vielleicht Kindergartengruppen oder Krippen für ihre Angestellten anbieten, um die wichtigen Bindungen zu Bezugspersonen möglichst stabil zu halten.

Wir ziehen also eigentlich alle am gleichen Strang,
denn wir alle – egal ob pro oder contra Sekundarschule – möchten, dass sich etwas tut und es unseren Kindern gut geht. Die Stadt Dülmen wird dieses schwerwiegende Problem, unserer Meinung nach, nur mit Hilfe der Bevölkerung lösen können. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem, dass sich bis in die Schulen auswirkt und nicht um ein rein bildungspolitisches Problem. Deshalb kann der Schlüssel zur Lösung auch nicht in einer neuen Schulform liegen. Unsere eigenen Wertvorstellungen brauchen einen Schubs in die richtige Richtung. Jeder Mensch ist gleich viel Wert, egal, welche Schule er besucht, welchen Beruf er ausübt und aus welchem Elternhaus er kommt. Hier eine Veränderung herbeizuführen ist keine leichte Aufgabe. Aber es ist möglich, mit der Unterstützung der Menschen, die das genauso sehen.